*magdalena schaffrin

Mode ohne Freude geht nicht

Interview Fred Grimm

Magdalena Schaffrin ist eine der wichtigsten Aktivistinnen in Sachen »grüner« Mode – auch wenn sie selbst nicht zwischen konventioneller und »grüner« Mode unterscheiden würde. Denn Mode kann für sie nur dann in einem höheren Sinne »schön« sein, wenn sie bestimmte Werte reflektiert. Nach ihrem Studium für Modedesign in Halle und an der Hochschule der Künste Berlin brachte sie 2007 ihre erste eigene Kollektion heraus. Gemein- sam mit Jana Keller gründete sie den Greenshowroom, heute gemeinsam mit der ebenfalls von ihr geleiteten Ethical Fashion Show Berlin das wichtigste Branchentreffen der nachhaltigen Modeszene Europas.

Was macht Mode schön?

Schönheit ist ein viel umfassender Begriff. Schönheit ist etwas sehr Individuelles. Ich würde lieber von einer Qualität der Gestaltung sprechen, einem Gefühl für ausgewogene Proportionen, spannende Farben, Modernität. Kann Mode, die unter unethischen und ökologisch fragwürdigen Bedingungen hergestellt wird, schön sein? Das ist der zweite Punkt, wenn man tiefer über die Qualität von Mode nachdenkt. Schönheit impliziert für mich neben dem Ästhetischen natürlich auch bestimmte Qualitäten im Material und in der Verarbeitung. Nachhaltigkeit beziehungsweise Ethik gehören zum Qualitätsbegriff unmittelbar dazu. Ein Kleidungsstück, das beispielsweise von Kinderhand hergestellt wurde, kann in diesem Sinne gar nicht schön sein. Ich würde den Be- griff Nachhaltigkeit übrigens gern durch das Wort »Qualität« ersetzen. Das versuche ich schon seit Jahren, aber es gelingt mir noch nicht.

Wo ist das Problem?

»Nachhaltige Mode« ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Dort geht es um ein System der ständigen Wiederaufforstung, um den Erhalt. Mode ist ihrem Wesen nach aber etwas Wechselhaftes, was sich immer wieder verändert und weiterentwickelt. Daher passt das Rückwärtsgewandte, das den Begriff Nachhaltigkeit ausmacht, nicht wirklich dazu.

Also kann es gar keine »nachhaltige« Mode geben?

Nein, ich würde wirklich lieber von ökologischen und ethischen Qualitäten sprechen, die ein »nachhaltiges« Kleidungsstück ausmachen.

Das klingt aber auch nicht wirklich catchy. Grüne Mode, faire Mode, Öko-Fashion, die ideale Begrifflichkeit für diese Mode ist wohl noch nicht gefunden.

Vielleicht ist das größenwahnsinnig. Ziel ist, die Werte, die soziale und ökologische Aspekte beinhalten, in der gesamten Modeindustrie zu verankern. Somit würde die Aufteilung in ethisch oder unethisch irgendwann einfach überflüssig werden. Und wieso braucht es eigentlich einen eigenen Begriff für diese Art Mode? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass in der Produktion von Mode auf soziale und ökologische Kriterien geachtet wird? Dann können wir einfach von Mode sprechen, was sie ja auch ist – Mode.

Wie sind diese Gedanken nach dem Studium in deine konkrete Arbeit eingeflossen?

Ich habe überlegt, was ich mit meinem Leben und meiner Energie machen möchte, und mir war es wichtig, etwas zu finden, was mit meinem Wertesystem funktioniert, aber natürlich in der Mode. Ich war ja nun ausgebildete Modedesignerin. Gleichzeitig wusste ich auch schon von den negativen Auswirkungen der Textilindustrie, lange nicht so viel wie heute, aber doch genug, um sicher zu sein, dass ich das nicht unterstützen wollte. Meine erste eigene Kollektion sollte auf jeden Fall modisch sein, aber die ethische und ökologische Qualität eben selbstverständlich auch enthalten, ohne diese extra zu kommunizieren. Ich dachte damals, dass es ja ganz einfach sein muss: Ich gehe auf eine Stoffmesse und suche mir dort ökologische Materialien. Aber bei meinem ersten Besuch habe ich schnell festgestellt, dass ökologisch und ökologisch nicht das Gleiche ist und das Thema ziemlich komplex. Es war nicht einfach, teilweise sogar unmöglich, die hochwertigen Stoffe zu finden, die ich für meine Kollektion gesucht habe.

Wie siehst du heute die Entwicklung des nachhaltig orientierten Modedesigns? Es hat sich ja mittlerweile ein festes Netzwerk etabliert, auch gibt es inzwischen viel mehr gute Materialien. Aber der Weg zu einer qualitativ hochwertigen Mode in dem von dir beschriebenen Sinne scheint doch noch sehr weit zu sein.

Es gibt in Deutschland eine lange Geschichte von nachhaltiger Kleidung. Diese fängt in den Siebzigerjahren mit den Pionieren wie Disana oder Hess Natur an. Diese Firmen kommen ursprünglich gar nicht aus der Mode, sondern fingen mit dem Anspruch an, Kleidung anzubieten, die gut und gesund für den Menschen sein sollte. Anfang 2000 haben neue Designer ihre Labels gegründet, im Prinzip eine zweite Generation, die ein anderes Selbstverständnis haben: nämlich den Anspruch, wirklich Mode zu machen, selbstverständlich nach ökologischen und ethischen Grundsätzen. Damit stehen diese Marken in direkter Konkurrenz zu den »konventionellen« und bedienen eher nicht den Naturtextilmarkt. Bald darauf wurde auch das Thema Upcycling in Deutschland groß. Bereits Mitte der Neunziger hatten britische Designer den Begriff geprägt. Inzwischen hat man aber verstanden, dass Upcycling nicht immer die beste Lösung ist, wenn sie nicht konsequent gedacht wird. Wenn ich von Anfang an schlechtes Material nehme, dann wird es auch nicht dadurch besser, dass ich es zu etwas Attraktivem upcycle. Konsequenz bietet das Cradle-to-cradle Konzept von Michael Braungart und William McDonough. Von Anfang an die richtigen Stoffe und Chemikalien für das Produkt so auszuwählen, dass man es in einen Kreislauf führen kann. Im Prinzip ist das sicher die Lösung der Zukunft. Im Moment arbeiten viele an Lösungen für dieses komplexe Thema.

Für einen Fashiondesigner scheint Cradle-to-Cradle in der Praxis wahnsinnig kompliziert zu sein. Ich glaube, ich würde verzweifeln.

In der Praxis ist C2C noch kompliziert. Auf der einen Seite gibt es die Philosophie, die wahnsinnig sinnvoll und konsequent ist, und ich denke auch, dass wir da hinmüssen. Auf der anderen Seite gibt es die Zertifizierung und die konkrete Praxis. In der Umsetzung merkt man, dass der große Anspruch, den die C2C-Philosophie mitbringt, noch so gut wie gar nicht zu erfüllen ist, denn es gibt noch sehr wenige geschlossene Rücknahme- und Wiederaufbereitungssysteme. Mode ist eben auch ein komplexes Produkt mit vielen unterschiedlichen Komponenten. Nehmen wir ein Hemd: Es gibt den Stoff, Knöpfe, das Nähgarn, die Einlage, um Kragen und Manschetten zu stabilisieren, Innenetiketten. Am einfachsten ist es, einen geschlossenen Kreislauf zu erreichen, wenn man Produkte recycelt oder kompostiert, die komplett aus einem Material bestehen (Monomaterial) oder bei dem die Materialien leicht voneinander trennbar sind. Wie die kompostierbare Hose von Freitag, bei der man die Knöpfe abschrauben kann: Knöpfe ab, Hose in den Kompost. Aber die Mode besteht in der Regel eben nicht aus nur einem Material, sondern aus einem Materialmix, der sich nicht so leicht voneinander trennen lässt.

Die Mode ist ein Teil der Verpackungsindustrie geworden, sagt die New Yorker Designwissenschaftlerin Debera Johnson. Für die Freude an der Selbstinszenierung ist die Wegwerfmode, wie sie etwa bei Primark verkauft wird, ideal: Jede Woche etwas Neues. Wie kann man die Menschen, die dort einkaufen, für die nachhaltige Sache gewinnen?

Die Freude an der Selbstinszenierung gehört zur Mode dazu. Gerade, wenn man jung ist, will man sich sich ausprobieren: Was passt zu mir? Wer bin ich eigentlich? Das ist eine menschliche Entwicklung, die natürlich auch durch die sozialen Netzwerke gefördert wird. Irgendwann hat man seinen Stil gefunden und weiß in der Regel ein gewisses Maß an Qualität zu schätzen. Wenn alle diese Menschen qualitätsvoller konsumieren würden, dann hätte man schon ganz schön viel gewonnen. Und die Jugendlichen, die sich bei Primark und Co. eindecken, im zweiten Schritt mitnehmen.

Geht Mode ohne Reue überhaupt?

Ich würde sagen, Mode ohne Freude geht nicht. Mir ist es viel wichtiger zu betonen, dass Mode etwas Freudvolles ist und nicht etwas Reuevolles sein darf. Der erhobene Zeigefinger funktioniert nicht. Man erreicht die Menschen eher über eine andere Wertediskussion: Wenn ich mir eine höhere Qualität leiste, dann habe ich auch eine andere Freude an den Kleidungsstücken. Mit dieser Freude am Gutem und Schönen erreicht man die Menschen viel besser als mit: ›Du darfst nicht zu viel konsumieren, weil wir so viele Probleme auf der Erde haben.‹

Allen Schmähungen zum Trotz muss man zugeben, dass die oberflächliche Qualität von Fast Fashion unbestreitbar ist. Früher definierte Mode immer auch den sozialen Status. Heute kannst du auch für ganz wenig Geld super aussehen. Ist der Kampf gegen Fast Fashion, das Beharren auf dieser besonderen, aber eben auch teureren Qualität letztlich nicht auch eine Form von Sozialverachtung?

Mode ist undemokratisch. Louis Vuitton, Prada oder andere Luxusfirmen sind auch deswegen so attraktiv, weil sich das eben nicht jeder leisten kann. Die Exklusivität über das Image und den Preis macht den Wert bestimmter Marken aus. Wenn man sich heute über den Stil nicht mehr absetzen kann, weil Linien wie Jil Sander von Firmen wie Cos nachgeahmt werden, dann geht die Diffe- renzierung über das Image der Marke, das Material und den Preis. Mit dem Großwerden der Fast Fashion spricht man auch von der Demokratisierung der Mode, weil eben diese Firmen guten Stil für die Masse zugänglich gemacht haben – grundsätzlich eine sehr gute Entwicklung, wie ich finde. Wenn wir heute die Qualitätsdiskussion führen, tun wir das, weil wir uns das leisten können. Ich meine damit, dass wir alle anderen Probleme für uns gelöst haben, alle Grundbedürfnisse befriedigt sind. Insofern ist die Qualitätsdiskussion schon elitär.

Aber bleiben ganzheitlich denkende Designer dann nicht dazu verdammt, immer in der kleinen eigenen Firma zu arbeiten? Und damit immer in einer Nische, in der man gar nicht so viel bewegen kann?

Entscheidend für die Frage, ob nachhaltige Mode ein Nischenthema bleibt oder massentauglich werden kann, ist nicht allein der Designer, sondern der gesellschaftliche Diskurs zu diesem Thema. Wir merken doch, dass immer öfter bestimmte Vorstellungen infrage gestellt werden: Was ist eigentlich ein gutes Leben? Welche Qualitäten gehören dazu? Wenn diese Diskurse sich in der Gesellschaft verfestigen, dann wird auch das Konsumverhalten irgendwann stärker infrage gestellt.

Betrifft das nicht nur das Konsumverhalten einer bestimmten Schicht?

Veränderung beginnt im Kopf. Unsere gesellschaftlichen Strukturen, wirtschaftlich, politisch und privat werden von Menschen bestimmt. Wenn Menschen anfangen, anders zu denken, fangen sie auch an, anders zu handeln. Es gibt immer die Chance, Massentrends in Bewegung zu setzen, auch mit einer anfangs eher kleinen Zielgruppe. Inzwischen gibt es schon eine relevante Anzahl von Menschen, die anders denken und auch anders konsumieren wollen. Ich denke aber auch, dass die Frage der Rohstoffe für die Modeindustrie notwendige Veränderungen sehr bald allein schon aus Kostengründen nötig machen wird. Es gibt eben eine endliche Menge an Rohstoffen. Da ist es für Unternehmen natürlich naheliegend, diese in Zukunft aus ihren eigenen Kollektionen zurückzugewinnen. Gerade für die Fast-Fashion-Unternehmen bietet Recycling gute Chancen.

Für euer Buch »Fashion Made Fair« hast du mit Ellen Köhrer mit zahlreichen Designern aus der grünen Modeszene gesprochen. Welche Erwartungen hattet ihr?

Mit dem Buch wollten wir die verschiedenen Aspekte von Nachhaltigkeit über die Labelporträts und Interviews mit Experten abbilden und kommunizieren, dass es anspruchsvolle Mode gibt. Das Buch soll durch viel Bildmaterial und leicht zu lesende Geschichten inspirieren und die unterschiedlichen Ansätze aufzeigen.

Wenn du alles betrachtest, was derzeit an Materialinnovationen und neuen Technologien existiert: Könnte man als Designer eigentlich heute schon das ökologisch und ethisch perfekte Kleidungsstück entwerfen?

Es gibt ganz viele Entwicklungen, die mich faszinieren, vor allem die ganzen Ideen zu geschlossenen Kreisläufen in der Modeproduktion, inklusive Rückführsysteme. Allerdings geht das Recycling eben im Moment immer noch am besten mit Kunstfasern. Hier schließt sich die nächste Diskussion an, nämlich um den Abrieb der Mikroplastikpartikel, die über die Abwässer in die Ozeane gelangen. Das könnte das unendliche Polyester-Recycling dann doch wieder infrage stellen. Es gibt eben immer etwas, was nicht so gut ist. Mode ganz ohne Fußabdruck geht eben nicht. Das perfekte Kleidungsstück? Ich glaube, dazu weiß ich zu viel.

DETAILS:Von Fred Grimm, erschienen in Zombie Design, Carsten Buck, Hrsg. Mutter, Gesellschaft für Design und Vermarktung mbH, Oktober 2016.